Falling Backwards, Softly Cushioned, an Architect in an Alpine Meadow

Roger Connah

Nennen wir es Sandkorn.
Es selbst aber nennt sich weder Sand noch Korn.
Es kommt ohne allgemeinen,
besonderen, vorübergehenden,
ständigen, vermeintlichen
oder eigentlichen Namen aus.

  
Wislawa Szymborska*
(Die Gedichte, Suhrkamp, 1997, p.231)
* Nobelpreis für Literatur 1996

Ist Architektur im besten Fall Erfindung? Es war nach einem Symposium mit dem Titel  "The Ethical Function of Architecture", als wir, eine ausgesuchte Gruppe von Architekten und Philosophen, in einem Hotel in Briol in den Dolomiten zusammensaßen, und ich realisierte, wie schwierig für mich der Versuch werden könnte, eine Einführung in die Architektur des in Kärnten geborenen Architekten Volker Giencke, zu schreiben. Giencke hatte mich angerufen und mir vorgeschlagen, nach Österreich zu kommen (wieder einmal) - obwohl ich gerade daran dachte, mich zurückzuziehen, um mein erstes "Hotel Architecture" in Nordwales zu eröffnen. Ich spürte etwas emotional Zwingendes in dieser Reise, ein Gefühl, das mich bis zum Symposium nicht mehr verließ. Ich wurde an V.S. Naipaul's Kapitel mit dem Titel "Die Reise" in seiner Erzählung "Die Rätsel der Ankunft" erinnert. In dieser Erzählung ist Naipaul hin und hergerissen zwischen der Vorstellung, wie er seine Arbeit in und aus der Vergangenheit einschätzen soll und wie er seine Erzählkunst für die Gegenwart anlegen wird. Sorgfältig wie immer entwickelt Naipaul die Erzählung über die Arbeit und das Buch, indem er die Kluft zwischen Mensch und Schriftsteller aufzeigt und die Möglichkeit, mit "Literatur" diese Distanz überbrücken zu können. War ich dabei, die Kluft zwischen dem Menschen und dem Architekten zu schließen und zum wahren Giencke vorzudringen? Wohl kaum.

Ich erinnere mich an 1990. Es war im Café Thalia in Graz. Damals wurden Architekten in unterschiedliche Lager eingeteilt. Der Dekonstruktivismus traf auf die Anhänger der Neuen Moderne und drang in die entlegensten Winkel des Erdballs vor. Die Postmoderne hatte mehr Ausgelassenheit gefordert, als sie aufzubieten imstande war. Der jugendliche Drang, Dinge auseinander zu nehmen und wieder zusammenzufügen, dazu eine hoffnungslose Architekturpolitik, bewirkten eine neue Verantwortlichkeit gegenüber der Architektur und dem Berufsstand. Für Richard Rogers ging es um eine verständliche Architektur, für Norman Foster um eine markellose, eindeutige Architektur, für Peter Eisenman um eine vage und schöpferische, für Daniel Libeskind um eine zwanghaft innovative, für Rem Koolhaas um eine abstruse und für Frank Gehry um eine karnevaleske Architektur. Große Ideen wurden symbolhaft verwirklicht. Die öffentliche Architektur sollte zum Aushängeschild werden und die Suche nach dem für jeden Architekten typischen enzyklopädischen Kick hätte uns schon vorwarnen müssen. Die Architektur wachte über uns, mehr als uns dies je bewusst war!

[...]

 

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